Samstag, 8. September 2018

Back to the roots

Ein neuer wunderschöner Tag! Beginnen wir ihn mit Ruhe und Entspannung - die unangenehmen Seiten zeigen sich früh genug.
Ein großer Schwarm Enten streicht mit großem Geplatsche an der Wasseroberfläche entlang, sieht aus, als ob sie übers Wasser laufen. Vor den Bootshäusern lassen sie sich nieder, sonnen und reinigen sich ein wenig und brechen dann zu einem Flug Richtung Narvik auf. Eine der Enten fliegt in großem Bogen zurück und dann dem Schwarm hinterher, grade so, als ob sie prüfen würde, ob auch niemand vergessen wurde. Ganz niedrig über dem Wasser gleiten sie dahin. Bei dem aktuellen Wasserstand ragt ein kleiner Fels so weit aus dem Wasser und glitzert in der Sonne, dass er aussieht wie eine Haifischflosse.
Das Telefon klingelt: es ist Scott aus L.A.!!! Von dem habe ich ja schon lange nichts mehr gehört - ich habe ihn und seine Frau Sandee in Alaska kennen gelernt und später ein paar Tage bei ihnen wohnen dürfen. Ist das eine herrliche Überraschung! Ich bin immer noch baff. Es ist ein wunderschönes und erfrischendes Gespräch - ich hoffe, es hält noch lange vor. Danke, mein Freund, das hat gut getan!

Zurück auf die Schattenseite des Lebens, oder besser gesagt: der Hütte. Ich fürchte, an den aktuellen Bohrstellen ist die Trollkraft nicht sehr wirksam. Dadurch dass hier ständig Grundwasser sickert, wird der Beton verwässert und wirkungslos. Hmmm...was kann ich tun? Mir fällt gerade keine Lösung ein - also erstmal lustig (und sinnlos?) drauf weiter bohren.

Ich nehme mir vor, nicht länger als bis 16 Uhr zu arbeiten. Der Plan ist, dann etwas fischen zu gehen, duschen auf dem Campingplatz und dann zum Abendessen zu Eva.
Tief kämpft sich der Bohrer in den Fels. Loch um Loch entsteht. Während die äußere Welt mittlerweile ziemlich automatisch abläuft, bohren meine Gedanken in meinem Leben (siehe unten).
Die Maschine steht - was ist geschehen? Hab ich sie überlastet? Nein, um die Ecke schaut grinsend Ragnar, er hat den Strom ausgesteckt um mit mir reden zu können. Er möchte gerne die Sackkarre haben, um seinen alten Kühlschrank (gestern gab's einen neuen) ins Bootshaus transportieren zu können.
Kurz nach 14 Uhr habe ich den östlichen Felsblock durchlöchert - Zeit für eine kurze (?) Pause. Tomatensuppe mit Tiefkühlgemüsemix soll mir nochmal Kraft verschaffen (Tomatenkraft?), verursacht aber leider auch wieder Zahnschmerzen. Egal, da muss ich halt durch.

Der Plan ist leider nicht ganz aufgegangen - erst gegen 17 Uhr schließe ich die Arbeiten für heute ab. Viel Hoffnung auf Erfolg habe ich leider bei dem vielen Grundwasser nicht. Meine Arbeit ist getan, nun liegt es am Troll, seine Kräfte am Felsen auszulassen. Das Fischen fällt der Zeitknappheit zum Opfer, aber die Dusche gönne ich mir. Schließlich bin ich "offiziell" bei Nachbars eingeladen, da möchte ich mich wenigstens ein bischen hübsch machen.
Eva hat einen köstlichen Nudelauflauf zubereitet, ganz nach meinem Geschmack: mit viiiiel Käse, viel Kochschinken, etwas Gemüse. Dazu gibt es Wein und zum Abschluss verköstigen wir ein paar Liköre. Der Abend wird länger als gedacht und ich bin froh, dass ich den Blog schon geschrieben habe. Es wäre sicher nix Gescheites mehr herausgekommen. Da ich aufgrund von Arbeit heute keine Bilder gemacht habe, muss ich doch für Euch noch schnell was zaubern - mit dem Fahrrad torkle ich noch kurz ein paar Meter weiter, um einen schönen Schnappschuss zu erhaschen.




Mein (bisheriges) Leben im Rückblick
war eigentlich gar nicht übel! Im Gegenteil, eigentlich bin ich ein Glückskind. Trotzdem lohnt es sich, über die Stationen nachzudenken.
Als Kind wollte ich immer wie mein Bruder sein. Ich glaube, ich war oft neidisch auf ihn. Dabei hat er mir wahrscheinlich viele Steine aus dem Weg geräumt und ich konnte in seinem Windschatten entspannt aufwachsen. Seit meinem ersten eigenen Fahrrad konnte ich meinen Freiheitsdrang damit mehr oder weniger gut befriedigen. Immer mehr unterwegs oder bei Freunden als zu Hause. Die Abenteuer bestanden in der Erkundung von verschütteten unterirdischen Gängen, im - wie ich dachte - verbotenen Rauchen in brandgefährlicher Umgebung (Dachboden oder Möbelwagen mit herausquellender Holzwolle). Später war mein Forscherdrang in Form von missglückten chemischen Experimenten an der frisch geweißelten Zimmerdecke zu sehen. Ich glaube, meine Umwelt hat sich daran mehr gestört als ich. In dieser Zeit haben mich Physik und Mathe (lehrerabhängig) gefesselt. Am meisten hat mich stets interessiert, ob oder wie meine wilden Ideen in der Realität umsetzbar wären. So habe ich auch ein "perpetuum mobile" erfunden  - enttäuschend nur, dass Jim Knopf mit seiner Emma damit schneller war und seine Lokomotive mit Hilfe eines Permanentmagneten angetrieben hat. "Werden" wollte ich dennoch lieber Trapper in Kanada! Keine Ahnung warum. Die Naturverbundenheit? Das forstliche Elternhaus? Egal. Ich habe das Ziel verfolgt und erfahren, dass es zum auswandern hilfreich ist, einen in Kanada gesuchten, handwerklichen Beruf mitzubringen. Meine Freude an der Technik hat mich dann zum Automechaniker gebracht. Aber das sollte ja nur Mittel zum Zweck sein. 
Mit der ersten großen Liebe haben sich dann aber auch die Pläne geändert. Dennoch bin ich meiner Fachrichtung treu geblieben und habe ein Ingenieurstudium durchgezogen. Irgendwie hat sich dann nach und nach einfach alles so ergeben, ich habe keine großen Entscheidungen mehr gefällt. Über einen kleinen Umweg habe ich dann doch einen Arbeitsplatz bei meiner Lieblingsfirma bekommen. Dass ich dort überwiegend administrative Arbeiten durchführen sollte empfand ich als Preis dafür, aber es war nicht schlimm. Anscheinend unmerklich habe ich mich wohl von meinen Plänen immer weiter entfernt. Mein Beruf hat mir Spaß gemacht, und wenn gerade einmal nicht, dann habe ich mir gesagt: Du hast diesen Beruf gewählt, dann musst Du eben auch die Durststrecken aushalten!
Lange Jahre durfte ich viele Freiheiten genießen und Arbeitsprozesse gestalten. Hier wird Logik und Effizienz verlangt - Dinge die mir liegen und die meinem Geist ausreichend Nahrung geben. Auch finanziell war das ein Glücksgriff - in den Urlauben konnte ich mir daher auch meine vielen Reisen gönnen. Meine Freiheit - 4 Wochen jährlich! Manchmal auch länger.

Aber anscheinend ist doch irgendetwas auf der Strecke geblieben. Das Feuer, die Neugier, der Funke, der Neues entstehen lässt, scheint nicht mehr da zu sein. Aus den Augen verloren. Aber jetzt geht diese Etappe, das Arbeitsleben, zu Ende - eine gute Chance, sich wieder auf die Suche nach dem Funken zu machen.
Trapper in Kanada ist nichts geworden, aber eine Hütte am Fjord in Norwegen ist mindesten genauso schön. Etwas luxuriöser sogar und etwas alterstauglicher. Statt Biber zu fangen und Bären zu jagen, gehe ich jetzt eben fischen. Statt unendlicher Wälder habe ich ein herrliches Meer um mich herum. Statt endloser Weiten sind es jetzt krasse Berge. Also - EIN Traum ist schon mal in Erfüllung gegangen. Nun muss ich noch etwas für meinen Geist finden. Back to the roots - zurück zur Physik?



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